„Nicht schon wieder Lesen üben…..“

Warum Leseförderung, die auf Motivation setzt, der falsche Weg sein kann

Erschreckend viele Kinder entwickeln im Laufe ihrer Grundschulzeit keine ausreichende Lesefähigkeit. Diese Erkenntnis begegnet uns derzeit ständig. Für jedes einzelne betroffene Kind bedeutet mangelnde Lesekompetenz letztlich eine enorme Einschränkung möglicher Bildungs- und Lebenspläne.

Eltern haben meist schon früh ein ungutes Gefühl, wenn es mit dem Lesen beim eigenen Kind nicht gut funktioniert. Während des ersten Schuljahres beobachten sie vielleicht folgendes:

Wenn das Kind sich konzentriert und an die Bilder in der Anlauttabelle denkt, kann es den häufigsten Buchstaben schon die richtigen Laute zuordnen. Leider ist der Wortanfang aber schon vergessen, nachdem die nächsten beiden rätselhaften Zeichen mühsam erinnert wurden. Da ist es doch schlauer, nach zwei Buchstaben einfach mal zu raten und den Blicken der Erwachsenen zu entnehmen, ob man richtig lag. Wenn ja, gibt es sogar noch ein Lob dafür.

Später wird das Lesen dann vielleicht etwas besser, aber es ist immer noch langsam und fehlerhaft. Das Schlimmste ist aber, dass Lesen so überhaupt keine Freude macht. Aus Sorge suchen die Eltern das Gespräch der Lehrerin Ihres Kindes. Dort bekommen folgenden Tipp: „Motivieren Sie Ihr Kind. Besorgen Sie ihm ansprechende, spannende Bücher, die seinen Interessen entsprechen und üben Sie damit täglich lesen. Dann wird Ihr Kind merken, wieviel Freude das macht.“

Blicken wir doch auf diese Situation aus der Sicht des Kindes: Aus Vertrauen in die Erwachsenen, um sie nicht zu enttäuschen, und weil das gewählte Buch ja auch wirklich viel verspricht, lässt es sich darauf ein. Aber schon bald ist es anstrengend und den Inhalt versteht es auch nicht wirklich. Die aufgebaute Motivation flaut ab, das Kind erlebt erneuten Misserfolg.

Auf Methoden der Motivation zu setzen und dabei weiter zu üben, was bisher schon erfolglos war, kostet nicht nur Zeit und Nerven. Denn was geschieht, während diese wertvolle Zeit verloren geht?

Die oben angedeuteten, ungünstigen Strategien verfestigen sich. Kürzlich sagte mir ein Junge in der Praxis, als ich ihn auf sein gutes Gedächtnis hinwies: „Ja, es ist ja so: Im Lesen bin ich nicht so gut, deshalb habe ich gelernt, mir ganz viele Sachen zu merken.“

Auswendiglernen, Raten und unvollständiges Lesen sind die häufigsten Kompensationsstrategien. Meint man es besonders gut und wählt ansprechend illustrierte Lesetexte aus, dann verstärken die hübschen Bilder sogar noch diese Verhaltensweisen.

Ein Teufelskreis

Jetzt kommt das Schlimmste: Basiert Leseförderung allein auf Motivationsansätzen, gerät ein schwacher Leser ohne ausreichende Lesetechnik in einen Teufelskreis. Wie obiges Zitat zeigt, wissen sich Kinder in ihren Lesefähigkeiten selbst gut einzuschätzen. Wissenschaftler sprechen vom Leseselbstkonzept. Es prägt sich aus aufgrund der individuellen Einstellungen und Erfahrungen. Dieses Leseselbstkonzept beeinflusst wiederum das Leseverhalten, die Lesemotivation und die Leseleistung.  Werden schwache Leser weiterhin zu ständigem Misserfolg “motiviert“, so kippt ihr Leseselbstkonzept und alle weiteren Bemühungen werden immer noch erfolgloser sein. Jetzt ändert sich das Konzept in:

„Ich bin im Lesen nicht gut und werde es auch sowieso niemals lernen.“

Welch eine verfahrene Situation! Je länger sie anhält, umso mehr Vorsprung bekommen inzwischen die Klassenkameraden. Der Teufelskreis geht weiter.

Schlechte Lesefähigkeiten

  1. Kind wird motiviert
  2. Kind übt
  3. Misserfolg
  4. negatives Leseselbstkonzept
  5. schlechte Lesefähigkeiten

Warum ist das so?

Der Grund des Dilemmas liegt nicht ursächlich in mangelnder Motivation. Vielleicht waren nötige Vorläuferfähigkeiten wie die phonologische Bewusstheit bei Ihrem Kind noch nicht ausreichend vorhanden oder die Lernmethode überforderte sein Arbeitsgedächtnis. Möglich ist auch, dass Ihr Kind noch gar nicht die nötigen Entwicklungsschritte abgeschlossen hat, um sich konzentriert und aufmerksam auf Schrift einzulassen. Es gibt viele Ursachen.

Was kann jetzt helfen?

Lassen Sie es möglichst nicht erst zu solch einer verfahrenen Situation kommen! Für Ihr Kind ist Lesenlernen eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Das Einzige, was den Teufelskreis verhindern oder durchbrechen kann, ist an den Lesefähigkeiten anzusetzen und dadurch Erfolgserlebnisse zu erzielen.

In meiner Praxis gehe ich folgendermaßen vor:

Zunächst mache ich eine gründliche Bestandsaufnahme. Welche Voraussetzungen hat das Kind und welche müssen noch erarbeitet werden. Was kann es bereits? Welche Buchstaben erkennt es leicht und kann sie dem richtigen Laut zuordnen? Kann es längere Wörter sinnvoll segmentieren? Selbst bei älteren Kindern sind Laut-Buchstabenzuordnungen manchmal nicht vollständig automatisiert und bringen sie leicht aus dem Lesefluss. Meine Förderung ist so passgenau auf die Voraussetzungen des Kindes zugeschnitten, dass sich sofort erste Erfolge zeigen. Jetzt erlebt Ihr Kind wieder Selbstwirksamkeit. Sein Leseselbstkonzept kann sich wandeln zu:

„Im Lesen bin ich nicht so gut, aber ich werde das jetzt lernen.“

Es folgt ein schrittweiser Leseaufbau. Dabei arbeite ich mit speziellem Übungsmaterial, mit dem jede Herausforderung isoliert und dann im Kontext des bereits Bekanntem geübt wird. Dazu verwende ich Material, in dem jedes Wort einen genau definierten Schwierigkeitsgrad hat. Dadurch ist der Aufbau sehr systematisch, gleichzeitig sind die Texte aber auch altersgerecht und ansprechend. Von Grund auf wird also eine sinnvolle Lesetechnik erarbeitet und ein sicheres Fundament geschaffen. Die einzelnen Schritte werden durch zielgerichtetes Üben bei mir und mit Hilfe der Eltern zu Hause automatisiert. Die Unterstützung durch die Eltern ist dabei sehr wichtig. Sie erfahren von mir genau, wie sie sinnvoll mit Ihrem Kind üben können.

Ein Engelskreis

In der Fachliteratur habe ich die Bezeichnung „Engelskreis“ gefunden. Das hört sich gar nicht so richtig nach einem Fachbegriff an, ist aber sehr treffend. Mit dem nun neu entwickelten Leseselbstkonzept wachsen die Sicherheit und die Freude am Lesen und so eine tragfähige Motivation des Kindes.

Und was kommt dann?

Wenn das Kind gelernt hat, technisch sicher und genau zu lesen und das Gelesene zu verstehen, hat es eine große Hürde genommen. Ab dieser Stufe, aber nicht eher, sollten Sie dem Rat der Lehrerin folgen und die schönsten Bücher besorgen und ihr Kind zum Lesen anhalten. Je mehr, umso besser. Nun wird es davon profitieren. Nun macht auch jegliche Leseförderung Sinn, die auf Lesemotivation abzielt.

Gerne können Sie bei mir einen Beratungstermin buchen.

Sie haben Fragen zu meiner Arbeit oder möchten einen Termin vereinbaren?


Dann können Sie das Kontaktformular nutzen oder Sie rufen mich an!
Ich freue mich darauf von Ihnen zu hören!